Armut sehen und verstehen

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Seit vielen Jahren engagiere ich mich im Haupt- und Ehrenamt für Menschen bzw. für Bevölkerungsgruppen die von Armut bedroht sind. Sie ist Teil unseres Alltags, doch was ist sie eigentlich?

Unter Armut wird ein Zustand bezeichnet, in dem Menschen über zu wenig Ressourcen verfügen: Geld, Bildung, Gesundheitsversorgung, Wohnraum, Ernährung, Bewegung, soziale Beziehungen, politische Beteiligung und kulturelle Möglichkeiten. Sie kann in entwickelten als auch in Entwicklungsländern auftreten. Ihre Bekämpfung ist ein wichtiger politischer, sozialer und wirtschaftlicher Bereich, der darauf abzielt, den Zugang zu Ressourcen und Chancen für zu verbessern.

Armut ist meist ein Geflecht an Benachteiligungen

Frankfurt ist eine vermögende Stadt und weist im nationalen Vergleich einen vergleichsweise hohen Lebensstandard aus. Das ist eine gute Voraussetzung für die Bekämpfung von Armut,  doch stehen den grundsätzlichen Möglichkeiten auch eine Vielzahl von Menschen gegenüber, die auf Unterstützung angewiesen sind. So berichtete kürzlich ein Dezernent in einem Vortrag in der Ortsliga, dass ca. 31% der Menschen in Frankfurt über keine 2.000 Euro im Monat verfügen. Im Grundschulbereich gehen wir davon aus, dass ca. ein Drittel aller Grund- und Förderschüler von Armut betroffen sind. Aus unserem beruflichen Alltag erfahren wir, dass die Alleinerziehenden, die Menschen mit Migrationshintergrund, Langzeitarbeitslose und Senioren besonders von Armut betroffen sind. Warum ist das so? Die erwähnten Ressourcenmängel bedingen sich oft gegenseitig: Fehlt das eine, fehlt es fast immer auch an etwas anderem.

Bedenkliche Entwicklungen

Oft höre ich, wie die Jugendeinrichtungen und die pädagogischen Mittagstische dem Andrang kaum gerecht werden. Denn an den dort zu findenden Kindern und Jugendlichen zeigt sich, dass Familien, die arm oder von Armut bedroht sind, am Essen und der Kleidung sparen. Neben ausreichend Mahlzeiten und gesunder Ernährung fehlt es in der jetzt kalten Jahreszeit an warmen Jacken und vernünftigen Schuhen. Durch Corona ist zudem schulisch viel auf der Strecke geblieben. Die Folgen sind deprimierend: Hunger, Bewegungsarmut, fehlende Unterstützung im schulischen/sozialen Umfeld und die daraus resultierende Perspektivlosigkeit ergeben einen frustrierenden „Kreislauf“.

Die Not ist manchmal wenig offensichtlich, aber doch gravierend: Ich habe einen Rentner kennen gelernt, der mit pflegerischer Unterstützung in seiner Wohnung weitestgehend selbstständig lebt und das Geld reichte bisher für deren wöchentliche Reinigung. Jetzt kann er sich die nicht mehr leisten. Für einmal im Monat, nach seiner Einschätzung, könnte es dann noch reichen, doch was das seelisch mit ihm macht, brauche ich nicht näher auszuführen.

Im Pflegebereich erleben wir derzeit, dass zahlreiche  Pflegeeinrichtungen ihren Betrieb einstellen. Im Klartext heißt das, dass Angehörige angerufen werden, die betreute Person zum Ende des nächsten Monats abzuholen. Das stellt Familien vor teilweise unlösbare Aufgaben. Hinzu kommt, dass immer weniger Menschen bereit sind, sich für diesen Arbeitsbereich zu entscheiden. Zusammen mit gestiegenen Kosten für Löhne, Energie, Lebensmittel und Pflegematerialien wird es zu Nachverhandlungen bei den Pflegesatzverhandlungen kommen. Bis zur Umsetzung wird viel Zeit vergehen und die dann daraus resultierenden Nachzahlungen müssen sich die Familien erst einmal leisten können. An dieser Stelle sehe ich die Gefahr, dass die Pflege nur noch für wohlhabende Menschen bezahlbar ist.

Lassen Sie uns alles unternehmen, damit das nicht passiert! Jede Spende hilft und wir müssen alles tun, damit sich in unserem Land eine Sozialpolitik etablieren kann, die dieser Entwicklung abwendet. Alles andere ist ein Armutszeugnis.

Mit herzlichen Grüßen aus der Henschelstrasse